Die Gruft in der Alten Sakristei


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Eine Besonderheit stellt die noch erhaltene Gruft der Lüdershäger Dorfkirche dar.

Viele derartige Bestattungen und Erbbegräbnisse in den kleinen Kirchen auf dem Lande sind in den letzten 70 Jahren komplett verschwunden. Nach 1945 wurden Grüfte vielfach aufgebrochen und die Särge nach Wertgegenständen durchsucht. Später wurden dann die Särge auf dem Friedhof vergraben und die neu gewonnenen Räumlichkeiten als Besen- und Abstellkammern genutzt.

 

In der Dorfkirche von Lüdershäger hat sich eine Gruft mit insgesamt 14 Särgen aus dem 18. Jahrhundert erhalten. Bis Ende der 1980er Jahre ist die Gruft bis auf wenige Lüftungsöffnungen, welche für die nötige Belüftung sorgten, zugemauert gewesen. Eine Zugänglichkeit war nicht möglich und auch eine „Entsorgung“ der Särge konnte dadurch verhindert werden. So kann von Glück gesagt werden, dass dieses besondere Zeugnis Frühneuzeitlicher Bestattungskultur noch erhalten ist. Allerdings stellt dies die Kirchengemeinde Lüdershagen auch vor enorme Herausforderungen. Nicht nur die hölzernen Särge sind von Verfall bedroht. Durch extreme Feuchtigkeit in dem kleinen Raum verbreiten sich neben Schimmelpilzen auch holzzerstörende Pilze. Es besteht also dringender Handlungsbedarf, um die derzeit noch erhaltene Substanz retten zu können. Dabei stellen die derzeit noch erhaltenen Särge kulturhistorisch wahre Schätze dar. Ist die Gestaltung der massiv und handwerklich hochwertig ausgeführten Eichenholzsärge in Lüdershagen zwar recht schlicht gehalten, so deuten doch die reichen Metallbeschläge, die Reste einer Draperie mit schwarzer Bespannung, Initialen und Symbole auf die Verstorbenen und ihr vorangegangenes Leben hin. Sie erzählen uns Lebenden Geschichten und erinnern uns an das Memento Mori (lat. „Gedenke des Todes“), also an die Vergänglichkeit des Lebens.

 

Hinter dem Konzept der Gruftbestattung steht das Bedürfnis gehobener Schichten - auch des selbstbewussten Großbürgertums - sich auch nach dem Tode noch als bedeutende Person des sozialen Lebens im allgemeinen Bewusstsein und der Erinnerung zu erhalten.

 

In dem Raum der heutigen Gruft befand sich ursprünglich die alte Sakristei aus dem 14. Jahrhundert. Der Raum besaß zwei kleine Fenster an der Südseite und konnte vom Chorraum aus betreten werden. Ab dem 18. Jahrhundert wurde der Raum als Grabstätte genutzt, mit Särgen bestellt, die Fensteröffnungen verkleinert und der Eingang vom Chorraum aus geschlossen. Die spitzbogige Türöffnung mit darüber erhöht angelegtem frühgotischen Rundbogen wurde allerdings nur mit Ziegeln und Lehmverstrich zugemauert, möglicherweise um die Gruft gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt wieder öffnen zu können. Im Innern der Gruft befindet sich noch heute die alte Sakristeitür in ihren schmiedeeisernen Hängen. Sie trägt ein großes hölzernes Kastenschloss. In der Türlaibung befindet sich eine kleine Maueröffnung, die waagerecht 1,20m tief ins Mauerwerk reicht. Sie diente zur Aufnahme eines Eichenholzriegels, mit dem die Tür von innen zusätzlich verriegelt werden konnte.

 

In der ca. 5x3m großen Gruft haben 10 Erwachsene und vier Kinder ihre letzte Ruhe gefunden. Derzeit können noch nicht allen Bestatteten ihre Namen zugeordnet werden. In Lüdershagen soll sogar eine Person zusammen mit ihrem Hund bestattet worden sein. Eindeutig zuzuordnen sind die Särge von Chrysantus Ehrenreich Eduard Vollrath Ramelow (٭um 1700, †01.11.1756), Anna Dorothea Ramelow, geb. Helm (†28.08.1738), Anna Gertrud von Scheven (٭22.04.1712,†17.09.1758) und Dorothea Christina Gustaviana Ramelow (٭27.03.1754,†22.04.1757).

C.E.V. Ramelow war Pfandgesessener auf dem Domänenhof zu Lüdershagen und Inhaber des Patronats der Lüdershäger Kirche. Das Patronat bezeichnet eine Art Schirmherrschaft. In erster Linie trug der Patron die Kirchenbaulast am Kirchengebäude und am Pfarrhaus, und war damit maßgeblich für die Erhaltung dieser Gebäude verantwortlich. Wie auch heute war die Kirchengemeinde finanziell gar nicht in der Lage, das gewaltige Kirchengebäude allein instand zu halten und deshalb auf diese Schirmherrschaft angewiesen. Die Patronatsfamilien gaben einen Großteil ihres Vermögens, sodass wir ihnen auch heute noch verdanken, dass diese großartigen Gotteshäuser die Jahrhunderte in liebevoll gepflegtem Zustand überdauert haben. Daher erhielten die Patronatsfamilien einige Ehrenrechte, z.B. auf einen gesonderten Sitzplatz im Patronatsgestühl und auf ein Begräbnis innerhalb der Kirche.

 

Der in Lüdershagen noch heute erhaltene Zusammenhang von Patronatswappentafeln, dem Patronatsgestühl und der Gruft - mit den Angehörigen der Patronatsfamilien - stellt nicht nur ein besonders schönes und erhaltenswertes Ensemble in unserer Dorfkirche dar, sondern ist bereits ein Seltenheit in unserer ländlichen Kulturlandschaft geworden.

Sarg von Chrysantus Ehrenreich         Sarg von Anna Dorothea Ramelow,     Kindersarg von Dorothea Christina

Eduard Vollrath Ramelow                      geb. Helm († 28.08.1738)                           Gustaviana Ramelow

٭um 1700, † 01.11.1756                                                                                                          ٭27.03.1754, † 22.04.1757

 

Neben dem Statussymbol spiele bei der Gruftbestattung aber auch der familiäre Gedanke eine ganz wichtige Rolle. Die Verstorbenen konnten von den trauernden Angehörigen besucht werden und nach dem Tod kamen die Familienmitglieder in der Gruft wieder für alle Ewigkeit zusammen. Das Begräbnis bleibt ein Memorialort und soll an die Familie erinnern.

 

Jeder Holzsarg besteht aus einem Untersarg und einem Sargdeckel, die sich zum Fußende hin konisch verjüngen. Alle Särge sind aus Eichenholz gefertigt. Zwei Särge besitzen aus Nadelholz gefertigte Innensärge. Die Holzverbindungen bestehen aus aufwändigen Trichterzinken oder sind mit Holznägeln stumpf zusammengenagelt. Einige Särge standen auf gedrechselten Kugelfüßen. Die geschwungenen und mit Profilleisten verzierten Oberflächen waren mit einer schwarzen Lasur behandelt, sodass die Holzstruktur sichtbar blieb. Mit Splintösen sind an den Seitenwangen und zum Teil auch am Kopf- und Fußhaupt schmiedeeiserne Bügelgriffe befestigt. Weitere aus Blei-Zinn-Legierungen gefertigte Zierbeschläge - wie Wappentafeln, Posaunenengel und Palmenzweige - schmücken die Oberflächen.

 

Vanitasbilder sind moralisierende Bilder über die Vergänglichkeit irdischen Lebens (Memento Mori – „gedenke des Todes“) und hatten ihre Blütezeit im Barockzeitalter. Die Sanduhr ist eine Metapher für die Vergänglichkeit oder das Vergehen der Zeit und zeigt das verrinnende Leben an. Nach Durchlaufen des Sandes dreht man die Uhr wieder um. Damit symbolisiert die Sanduhr nicht nur Ende, sondern auch Neuanfang, also Tod und Auferstehung. Die geflügelte Sanduhr ist außerdem ein Attribut des antiken Gottes Kronos. Palmenzweige symbolisieren den Sieg Christi über den Tod und Posaunenengel wecken den Verstorbenen am Tag des Jüngsten Gerichts.

 

Am Sarg von Anna Dorothea Ramelow sind Reste einer schwarzen Textilbespannung erkennbar. Der Sarg war vermutlich komplett in schwarzem Stoff gehüllt, auf dessen Oberfläche sich die zum Teil vergoldeten Blei-Zinn-Beschläge befanden.

 

Sargbeschlag C.E.V. Ramelow                                           Sargbeschlag A.D. Ramelow

Vanitassymbol mit geflügelter Sanduhr,                                            Blei-Zinn-Posaunenengel, konservierter Zustand

Symbol für den antiken Gott Kronos

 

Dauerhafte Feuchtigkeit und der Befall durch holzzerstörende Pilze haben alle mit dem Boden in Kontakt stehenden Holzteile stark geschädigt bzw. bereits komplett zerstört. Im Zusammenhang mit dem feuchten Klima vergrauten und verschmutzten die Holzoberflächen durch Staub und herabfallenden Putz. Die Metallbeschläge sind ebenfalls stark verschmutzt und korrodiert. Die Substanz der Eisenbeschläge ist zum Teil so stark gefährdet, dass bereits einige Teile unwiederbringlich verloren gingen.

Als in den 90er Jahren das Außenmauerwerk der Kirche saniert wurde, stellte man fest, dass sich die Außenwand des Gruftraumes nach außen neigt. Daraufhin wurde dann von außen eine kleine Luke eingebaut und im Innern unterhalb des gemauerten Tonnengewölbes Zuganker eingesetzt. Vermutlich wurden dabei die darin befindlichen Särge übereinander gestapelt. Die unteren Särge drohen nun Stück für Stück unter der Last zusammenzubrechen. Teilweise besteht auch direkter Bodenkontakt zum gestampften Lehmboden, was den Verfall ebenfalls zügig vorantreibt.

 

In nächster Zeit ist geplant, mit einer Notsicherung die hölzernen Särge zu erhalten und damit wieder eine angemessene und würdige letzte Ruhestätte für die Verstorbenen herzurichten. Der Umgang mit den Toten soll der Würde der ehemaligen Menschen entsprechen, der äußere Rahmen pietätvoll gestaltet sein. Das heißt auf die Lüdershäger Gruft bezogen, dass die Toten in der Gruft bleiben, in ihrem Friedhof, denn dort wollten sie vor ihrem Tod bestattet werden.

 

Der erste Schritt zur Erhaltung der Gruft ist bereits getan. Nach über 200 Jahren öffnete ich am 13. und 14. September 2020 den Zugang durch die alte Sakristeitür. Zwei mit Lehmverstrich vermauerte Wände wurden Stein für Stein vorsichtig abgetragen. Dazwischen befand sich Sand und Bauschutt, aus dem bereits zahlreiche Glasscherben (zum Teil bemalt, mittelalterlich), eine Münze, ein Knopf und eine Stechnadel geborgen werden konnten. Am 26. September 2020 wurde zu einem kleinen Gemeindefest eingeladen, bei dem nach einem Vortrag zur Bestattungskultur im 18. Jh. die Gruft sowie eine kleine Ausstellung der Funde besichtigt werden konnten.

Über das Gestühl im Chorraum ist nun bereits eine bessere Zugänglichkeit zur Gruft gewährleistet und auch die Särge können geborgen, dokumentiert und gesichert werden.

 

Vom 16. bis 18. November 2020 erfolgte die erste Aktion zusammen mit den Archäologen Dr. Regina Ströbl und Dr. Andreas Ströbl von der „Forschungsstelle Gruft“ aus Lübeck. Nach der Zustandsdokumentation konnten bereits die ersten Särge aus der Gruft geboren, dokumentiert und im Turmzimmer eingelagert werden. Weiter geht es im Frühjahr 2021, wenn die Temperaturen es zulassen und die eigentliche Reinigung und Konservierung ausgeführt werden kann.

 

Auch die jetzt erst Stück für Stück erfahrbare Räumlichkeit der Gruft scheint noch einige Geheimnisse zu bergen: Vor der Ostwand befindet sich ein steinernes Podest. Außerdem ist in der Südostecke noch eine ungewöhnliche Nische zum Vorschein gekommen. Es gibt eine grobe Hypothese, dass es sich bei dem Podest ehemals um einen Altar handeln könnte und die Nische rechts daneben eine Piscina war (im Mittelater ein Ausgussbecken für Wasser von den Ablutionen, überschüssiges Weih- oder Taufwasser, welches nicht in die Kanalisation geleitet wurde, sondern in der Erde des um die Kirche liegenden Friedhofs versickern konnte). Die längliche Nische im Westen des Raumes könnte im Mittelalter als Heiliges Grab gedient haben (plastische Darstellung der Grablegung Christi). Das ist allerdings bisher nur Spekulation und muss noch näher untersucht werden. Der Tür nach zu urteilen, wird das Bodenniveau in diesem Raum aber mit Sicherheit noch etwa 20cm tiefer gewesen sein.

Nach der ersten Sichtung und Bergung der obersten Särge stellte sich nun leider heraus, dass alle Bestattungen sehr stark gestört sind. Es sind Schäden erkennbar, welche darauf hindeuten, dass die Särge gewaltsam geöffnet worden sind. Einige Särge sind leer, da sie wahrscheinlich einmal ausgekippt wurden. Es wird noch sehr viel im Boden liegen. Bis 1993 gab es eigentlich von außen und innen keinen Zugang. Herr Frahm berichtete aber nun, dass Sowjetsoldaten 1945 von oben durchs Gewölbe eingebrochen waren. Sie hatten offenbar sehr viel Angst vor der Organisation "Wehrwolf" und suchten jeden Winkel nach Waffen ab. Das erklärt auch, warum es doch auf den zweiten Blick heute so ein Chaos in der Gruft gibt.

Dieser Zustand soll behoben werden und die Gruft wieder als würdevolle Ruhestätte für die Verstorbenen hergerichtet werden. Hierzu erfolgt die wissenschaftliche Dokumentation des Ist-Zustandes, die Bergung der Särge und der Bestattungen, die Reinigung der Gruft mit Sieben des Abtrags sowie die Reinigung und Festigung der Holzsärge und der Metallbeschläge. Anschließend erfolgt die Rückbettung der konservierten Särge in die hergerichtete Gruft. Sie werden zukünftig in einer Regalkonstruktion gelagert. Der Raum soll eine dem Ort angemessene Beleuchtung erhalten und durch eine Glaskonstruktion besichtigt werden können. Mit Rücksicht auf die Totenruhe soll ein direktes Betreten der Grabstätte aber nach wie vor mit nur zu bestimmten Anlässen gewährt werden.

Im Frühjahr 2021 konnten die Arbeiten in der Gruft fortgeführt werden. Tatkräftige Unterstützung gab es dieses Mal von den Kommilitonen Alexander Ackermann und Henryk Kazmierczak aus Potsdam (beide Konservierung/Restaurierung, Fachrichtung Metall). In Zusammenarbeit mit den Gruft-Archäologen Dr. Regina und Dr. Andreas Ströbl aus Lübeck wurden die letzten fünf, und aufgrund von direktem Kontakt zum Boden/zur Wand, stark beschädigten Erwachsenensärge sowie ihre Inhalte behutsam geborgen, wissenschaftlich untersucht und gesichert. Anschließend begann die gründliche Reinigung der ersten Särge.

Um auch kleinste Funde, wie Stecknadeln und die zierlichen Reste von Totenkronen bergen zu können, wurde der aus Schutt, Sand und Morast bestehende Boden in Abschnitten und Schichtenweise abgetragen und anschließend durchgesiebt. Für diese mühsame und akribisch ausgeführte Arbeit sei ganz besonders Alexander Ackermann und Henryk Kazmierczak gedankt!

Der Umfang der in Lüdershagen geborgenen Befunde zeigt noch einmal sehr deutlich, dass es umso wichtiger ist, dass jede Gruft unbedingt wissenschaftlich untersucht und dokumentiert werden muss. Bei der Untersuchung des Gruftbodens ist im Osten ein alter Backsteinboden zum Vorschein gekommen. Leider ist dieser Boden offensichtlich nur noch zu einem Viertel erhalten. Die weitere Untersuchung des Bodens wird im Sommer dieses Jahres durchgeführt.

 

Mit Rücksicht auf die historische Bausubstanz sollten die Eingriffe an der Raumschale der Gruft so gering wie möglich gehalten werden. Allerdings sind einige Eingriffe für die langfristige Erhaltung der dieses Gesamtensembles notwendig.

 

Die zum Teil stark geschädigten und durchfeuchten Särge können nun langsam abtrocknen. In den nächsten Monaten beginnt ihre Konservierung. Restaurierungsmaßnahmen werden mit Hinblick auf den Vergänglichkeitsgedanken zunächst nur auf konstruktive Sicherung beschränkt. Dies bedeutet, dass einige Bereiche auch fragmentarisch erhalten bleiben und lediglich konservatorisch gesichert werden. Oberste Priorität hat während des gesamten Projektes der würdevolle Umgang mit den Verstorbenen. Dementsprechend sollen am Ende alle Särge so geschlossen sein, dass die Gebeine zurückgebettet werden können und endlich ihre ursprünglich zugedachte letzte Ruhe erhalten.

 

Sehr erfreulich ist doch das große Interesse der Öffentlichkeit, wie bei den Führungen zum „Tag des offenen Denkmals“ festzustellen war. Die Gruft in Lüdershagen ist gerade deshalb etwas Besonderes, da in Mecklenburg-Vorpommern bisher meist nur die großen Gruftanlagen bedeutender Herzogs-Familien untersucht und aufgearbeitet wurden, nicht aber die Erbbegräbnisse des bürgerlichen Kleinadels.

 

Die Durchführung dieses aufwendigen Projekts kostet sehr viel Geduld, Kraft und Geld.

Daher sind wir für jede, noch so kleine finanzielle Unterstützung sehr dankbar.


 

Dieses Projekt wird unterstützt durch

die Lokale Aktionsgruppe Nordvorpommern e.V.